Broschüre: RWE, Lützerath, Eckardt Heukamp und die Enteignung

RWE sorgt im rheinischen Braunkohlerevier schon seit Jahrzehnten für die Umsiedlung von ganzen Dörfern, damit sie die darunterliegende Braunkohle freilegen und abtragen können. Dieses Schicksal erfasst auch das umkämpfte Dorf Lützerath, obwohl die unter dem Dorf liegende Kohle nicht notwendig ist für unsere Energieversorung. Wird diese Kohle jedoch abgebaggert und verbrannt, wird die 1,5°C Grenze überschritten werden. Die meisten Bewohner*innen sind bereits umgezogen, doch ein letzter Landwirt wehrt sich juristisch gegen seine Enteignung. Aktivist*innen unterstützen ihn. Im Zuge der Kämpfe um Lützerath beschäftigt sich diese Broschüre mit Heukamps Enteignung – denn Enteignung ist nicht gleich Enteignung. Darüber haben wir einen Text geschrieben.

Wenn ihr den Text zugeschickt bekommen wollt, meldet euch gerne bei uns: klimatreffen-tuebingen[at]riseup.net

Hier könnt ihr euch das Heft als pdf downloaden:

RWE_Lützerath_Eckardt_Heukamp_und_die_Enteignung.pdf

RWE, Lützerath, Eckardt Heukamp und die Enteignung

Disclaimer: Das OVG Münster hat nach Verfassen dieses Textes entschieden, dass die Enteignung Heukamps rechtmäßig sei. Anfang April 2022 hat der Landwirt dem Druck RWEs dann nachgegeben und seinen Hof „freiwillig“ an den Energiekonzern verkauft.

RWE sorgt im rheinischen Braunkohlerevier schon seit Jahrzehnten für die Umsiedlung von ganzen Dörfern, damit sie die darunterliegende Braunkohle freilegen und abtragen können. Dieses Schicksal erfasst auch das umkämpfte Dorf Lützerath, obwohl die unter dem Dorf liegende Kohle nicht notwendig ist für unsere Energieversorung. Wird diese Kohle jedoch abgebaggert und verbrannt, wird die 1,5°C Grenze überschritten werden. Die meisten Bewohner*innen sind bereits umgezogen, doch ein letzter Landwirt wehrt sich juristisch gegen seine Enteignung. Aktivist*innen unterstützen ihn. Im Zuge der Kämpfe um Lützerath beschäftigt sich diese Broschüre mit Heukamps Enteignung – denn Enteignung ist nicht gleich Enteignung.

Was passiert in Lützerath und warum?

Kennt ihr Lützerath? Das kleine Dorf in Nordrhein-Westfalen ist akut davon bedroht, dem von RWE betriebenen Braunkohletagebau Garzweiler zum Opfer zu fallen. Denn hier enteignet RWE seit Jahrzehnten Menschen und baggert Dörfer ab, um die darunter befindliche Braunkohle abzubauen. Für den geplanten Abriss des Dorfes sollen zunächst aber die Bewohner*innen umgesiedelt werden. Wer die Entschädigungsangebote des Kohlekonzerns ausschlägt, riskiert eine Enteignung und viele der ursprünglich Ortsansässigen sind dem Druck des Kohlekonzerns bereits gewichen. Die Enteignung kann RWE bei der Bezirksregierung beantragen. So geschehen im Falle des Landwirtes Eckhardt Heukamp, der letzte Bauer von Lützerath. Er soll, seinen Hof so schnell wie möglich verlassen. Eilanträge Heukamps gegen die vorzeitige Grundabtretung an RWE wurden vom Verwaltungsgericht Aachen abgelehnt, dagegen legte er Beschwerde vor dem Oberverwaltungsgericht Münster ein. Die Entscheidung des OVG Münsters wurde unlängst bis auf mindestens März 2022 verschoben.

In Lützerath entscheidet sich zudem, ob das deutsche CO2-Budget für die 1,5°C-Grenze eingehalten wird. Laut dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW, 2021) dürfte RWE bis 2028 nur noch maximal 200 Millionen Tonnen Braunkohle aus den Tagebaukomplexen Hambach und Garzweiler fördern. Wird die Kohle unter Lützerath abgebaut, wird diese Menge überschritten werden. Laut des DIW-Gutachtens besteht keine energiewirtschaftliche Notwendigkeit für einen kompletten Aufschluss des Tagebaufeldes Garzweiler II.

Soll mit einer Wahrscheinlichkeit von nur 50% das in Paris festgelegte 1,5 Grad Ziel eingehalten werden, so beträgt das verbleibende CO2-Budget Deutschlands ab dem Jahr 2020 4,2 Gigatonnen CO2. Ein Budget welches, so der Sachverständigenrat für Umweltfragen, bereits im Jahr 2026 verbraucht sein wird, sollten die Emissionen in Deutschland auf gleichem Niveau bleiben.

Um diese Zahlen anschaulich zu machen: Aktuell hat sich das Weltklima seit der vorindustriellen Zeit um etwa 1,2°C erhöht. Bereits diese Erhitzung führt zu Hitzewellen, Waldbränden und Dürrekatastrophen, steigenden Meerespiegeln und zu Überflutungen. Was für uns im globalen Norden oftmals noch wie eine dystopische Zukunft klingt, ist für Menschen im globalen Süden oft bereits bittere Realität. Sollte die Klimakrise im selben Tempo voranschreiten wie bisher, so werden bis ins Jahr 2050 mindestens hunderte Millionen Menschen von ihrem Zuhause fliehen müssen. Bei Überschreitung der 1,5°C-Grenze werden außerdem mehrere Kipppunkte ausgelöst. Kipppunkte sind zum Beispiel die Verwandlung des Amazonas-Regenwaldes in eine Steppe, oder das Schmelzen des Thwaites-Gletschers: Diese hätten eine bisher unberechenbare Abwärtsspirale zur Folge, in welcher sich die Erderhitzung immer weiter selbst verstärken wird.

Es ist jedoch wichtig zu bemerken, dass all dies bei weitem nicht unvermeidbar ist. Wie die Welt in nur wenigen Jahrzehnten aussehen wird, liegt aktuell in der Hand von Staaten und Konzernen. Und insbesondere Deutschland als weltweit größtem Produzent von Braunkohle kommt hierbei eine besondere Verantwortung zu.

Niemand braucht die Energie, die da produziert wird

Dass die Erweiterung von Garzweiler II um das Gebiet von Lützerath keine gemeinwohlorientierte Tat ist, ist offensichtlich: Die Energie, die beim Verbrennen der abgebaggerten Kohle entstehen wird, ist für die Stabilität des deutschen Stromnetzes nicht notwendig, sorgt aber für irreversible Klimaerhitzung. Das schreibt, wie bereits erwähnt, sogar das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung:

„Bei entsprechender frühzeitiger Drosselung der Produktion benötigt ein Kohleausstiegspfad im Tagebaukomplex Hambach und Garzweiler bis zum Jahr 2028 noch maximal 200 Millionen Tonnen [Braunkohle]. Dieser Kohleausstiegspfad im Einklang mit dem 1,5° Budget gewährleistet auch den Erhalt der Garzweiler Dörfer. Weder aus energiewirtschaftlicher noch aus energiepolitischer Sicht besteht eine Notwendigkeit für einen kompletten Aufschluss des Tagebaufeldes Garzweiler II. Im Gegenteil, die energiewirtschaftlichen Rahmenbedingungen haben sich grundlegend geändert und machen […] eine neue Leitentscheidung für das rheinische Braunkohlenrevier zwingend notwendig. Diese muss eine zukünftige (absehbare) Entwicklung bereits heute antizipieren, um für die von Umsiedlung bedrohten Menschen in den Dörfern genauso wie für RWE solide Rahmenbedingungen und Planungsgrundlagen zu schaffen.“1

Warum wird diese Energie dann erzeugt?

Derzeit liegt die Stromversorgung Deutschlands vor allem in den Händen von nur vier Konzernen: RWE, Eon, EnBW und Vattenfall. Diese Big Four handeln gezwungenermaßen nach privatwirtschaftlichen Interessen: Konkurrenz, Wachstum, Profit – ohne Rücksicht auf die globale Erderhitzung oder Umweltschäden. Denn das würde in der aktuellen ökonomischen Logik die Wirtschaftlichkeit der Konzerne belasten.

Von den großen fossilen Energiekonzernen wurde das Aufkommen der erneuerbaren Energien anfangs belächelt. Sie entwickelten sich jedoch mehr und mehr zu einem großen Problem für sie. Im Jahr 2009 stammten bereits 16 Prozent des erzeugten Stroms aus erneuerbaren Energien. Dieser wurde kaum von den großen Energiekonzernen produziert. RWE und Co investierten in den 2000ern hingegen weiter in fossile Großkraftwerke. So wurden noch in den vergangenen Jahren Kohlekraftwerke gebaut und in Betrieb genommen. 2015 Moorburg, 2020 Datteln 4. Damit sich der Bau und die Inbetriebnahme solcher Großkraftwerke wirtschaftlich lohnt, müssen diese für eine Mindestzeit betrieben werden. Im Interesse der Konzerne war und ist es daher, ihre Kraftwerke möglichst lange bei gleicher oder steigender Leistung betreiben zu können. Der Ausbau der Erneuerbaren musste deshalb so stark wie möglich gebremst werden.

Zwar investieren die Big Four jetzt stärker in Erneuerbare, allerdings ist ihr Anteil daran weiterhin gering. Das liegt daran, dass Erneuerbare dezentral und deutlich weniger kapitalintensiv funktionieren. Oft werden sie von Stadtwerken, Privatpersonen oder als „Bürgerenergien“ betrieben. Selbst im Jahr 2019 waren die großen Energiekonzerne nur für 33 Prozent des Zubaus an Erneuerbaren verantwortlich. Gesteigert haben den Anteil riesige Windparks in der Nord- und Ostsee, bei denen hohe Investitionen notwendig sind und auf deren besondere Förderung seitens des Staates sie immer wieder gedrängt haben (vgl. Aktionstreffen Klimagerechtigkeit Stuttgart). Aus diesen Gründen hält RWE weiterhin an der Erweiterung von Garzweiler II, ergo an der Zerstörung von Lützerath, fest. Denn für die Konkurrenzfähigkeit und die Profitsteigerung des Konzerns ist es notwendig, weiterhin Braunkohle abzubaggern, zu verbrennen und die entstandene Energie (ins Ausland) zu verkaufen.

Zu den 100 Unternehmen, die für 71 Prozent der globalen Treibhausgasemissionen sorgen, gehört auch RWE. Die entsprechende Ausbeutungsleistung des Konzerns wird vom deutschen Staat geschützt. Zum sehr späten Kohleausstieg 2038 gehören auch Entschädigungszahlungen an RWE und LEAG. Für vermeintlich versäumte Profite (durch die Zerstörung unserer Lebensgrundlagen) zahlt der Staat an RWE 2,6 Milliarden Euro, an LEAG 1,75 Milliarden Euro.

Enteignung von Grundstücken für das „Wohle der Allgemeinheit“?

Mit diesem Hintergrund erscheint die bevorstehende Enteignung der Anwohner*innen höchst fraglich. Was? Enteignung? Das hört sich ja nach Sozialismus an! Doch weit gefehlt: Die Enteignung ist ein gängiges und im Grundgesetz (Art. 14 GG) verankertes Mittel zur „Güterbeschaffung“, also zur Einverleibung von privatem Sacheigentum in öffentliches Eigentum. Dies darf allerdings nur vorgenommen werden, wenn es ein Gesetz gibt, das die Enteignung regelt. Hier kommt § 79 Bundesberggesetz ins Spiel, der festlegt, dass „Grundabtretung[en]“ (=Enteignungen von Grundstücken zugunsten von Unternehmen statt zugunsten des Staates) für Kohleabbau möglich sind, „wenn sie dem Wohle der Allgemeinheit dien[en]“.

Aber was ist das „Wohle der Allgemeinheit“? Laut Bundesverfassungsgericht muss man hier zwischen sich gegenüberstehenden Interessen abwägen. Auf der einen Seite steht das öffentliche Interesse am Kohleabbau. Dieses ergibt sich scheinbar daraus, dass aufgrund des hohen Energiebedarfs „die Versorgung des Marktes mit Rohstoffen“ zu gewährleisten sei. Komplett unerheblich ist dabei, dass der tatsächliche Bedarf an Braunkohleenergie immer unbedeutender wird und in Zukunft ganz abgebaut werden muss. Erheblich ist hier allein, dass der Braunkohleabbau aktuell einen Beitrag zum Energiebedarf trägt. Dem gegenüber steht das private Interesse des zu enteignenden Eigentümers an seinem Grundstück und andere entgegenstehende öffentliche Interessen, etwa Klima- oder Umweltschutz. Einfach gesagt kann daher ein Grundstück „enteignet“ werden, wenn der Bedarf an Kohle so groß ist, dass dieser Bedarf wichtiger ist als das private Eigentumsrecht Einzelner und der Klimaschutz zusammen. Im vorangegangenen Abschnitt wurde bereits ausgearbeitet, dass der Bedarf an Braunkohle immer weniger wird und viel weniger sein könnte als er tatsächlich ist. Das zeigt: das öffentliche Interesse am Kohleabbau ist eigentlich gar nicht so hoch. Viel eher ist es das Profitinteresse von RWE, das als enorm hoch einzustufen ist.

Und es ist das Profitinteresse von RWE, das letztlich aller Voraussicht nach dem Klimaschutz überwiegen wird. Dass dies unter dem Deckmantel des „Allgemeinwohls“ passiert ist auf den ersten Blick bestürzend, doch sicherlich kein Zufall: Das Beispiel Lützerath zeigt, dass in der BRD sehr wohl Enteignungen möglich sind. Allerdings stellt sich die Frage, wer zu wessen Gunsten enteignet und warum. Die deutsche Verfassung setzt kein bestimmtes Wirtschaftssystem voraus. Daher sind sowohl Elemente der freien Marktwirtschaft (Privateigentum und Erbrecht) als auch „sozialistische“ Elemente (Enteignung und Vergesellschaftung) enthalten. Die Methode Enteignung wird jedoch in den Händen eines kapitalistischen Staates zur Brechstange, um Profite für Großkonzerne einzufahren. Die Enteignung Heukamps ist eine sog. Enteignung „von oben“, die weder dem Allgemeinwohl dient, noch demokratisch legitimiert ist. Dabei werden (auch unter Mitwirkung der Gerichte!) fadenscheinige Begründungen herangezogen, um die Enteignung irgendwie als Gemeinwohl darzustellen und damit zu legitimieren. In den Händen einer breiten progressiven Bewegung von unten, kann Enteignung jedoch ein Mittel sein, um tatsächlich die Interessen der großen Mehrheit durchzusetzen. Nämlich die Erhaltung von Lebensgrundlagen und die Umsetzung von Klimaschutz.

Unser Klimakampf ist antikapitalistisch

Doch was bedeutet das? Wachstum und (internationale) Konkurrenz sind die wesentlichen Triebkräfte jedes kapitalistischen Systems. Die naive Idee, diese Gesetzmäßigkeiten seien die einzige Chance, Innovationen zu erschaffen, mit denen wir der Klimakrise begegnen könnten, ist noch immer in vielen Köpfen verankert.

Doch sehen wir uns noch einmal an, was dieses System wirklich macht: Jemand gründet ein kleines Unternehmen mit dem Ziel soziales und ökologisches Wirtschaften zu etablieren und „mit gutem Beispiel“ voran zu gehen. Schnell wird dieses Unternehmen an einem Scheidepunkt stehen. Kann sich das Unternehmen gegen die Konkurrenz durchsetzen? Verspricht es genügend Gewinnausschüttungen, damit in das Projekt investiert wird? Um nicht kurzen Prozess gemacht zu bekommen und von Global Players verdrängt oder aufgekauft zu werden, müssten alle eingangs erhobenen, noblen Ansprüche über Bord geworfen werden. Um sich auf dem freien Markt durchsetzen zu können müssen Profite immer weiter maximiert werden. Unendliches Wachstum muss und wird zur obersten Priorität erhoben werden. Diese Gewinne können nur durch Ausbeutung von Mensch und Umwelt erzielt werden. Doch menschliche Arbeitskraft und fossile Rohstoffe sowie andere Ressourcen sind begrenzt. Das kleine Unternehmen sieht sich trotzdem dazu gezwungen seine Angestellten möglichst effizient auszubeuten. Ob durch höhere Produktivität, längere Arbeitszeit, niedrigeren Lohn oder billigere Rohstoffe. Damit sich zum Beispiel die Vermarktung von hippem Chai lohnt, ist folgendes notwendig: Monokulturanbau auf riesigen Plantagen, giftige Düngemittel, sklavenähnliche Ausbeutung der Arbeiter*innen, Zerstörung der Biodiversität, ganz zu schweigen vom Transport quer durch die Welt und der Stromversorgung durch Kohlekonzerne. Soll der Preis für den Tee mit anderen Anbietern mithalten können, werden diese Mechanismen notwendig für das Unternehmen.

Das zeigt: Das System kann nicht von innen heraus mittels grüner Startups oder grüner Technologie verändert werden. Dieser Irrglaube muss von der Klimabewegung bekämpft werden. Denn Unternehmen müssen um jeden Preis Profite machen, um nicht vom Markt verdrängt zu werden. Klimaschutz und Kapitalismus stehen sich immer unvereinbar gegenüber.

Doch welche Rolle spielt dabei der Staat?

Wirtschaft und Politik kann man nicht getrennt voneinander denken. In vielen Bereichen der Wirtschaft entstehen Monopole, die über nationale Grenzen hinweg Einfluss auf jeden erdenklichen Lebensbereich der Menschen nehmen. Dies wird von der Politik kapitalistischer Staaten aktiv gefördert. Schließlich stehen auch Staaten in Konkurrenz, das nationale Wirtschaftswachstum zu steigern. Durch Subventionen und Prämien werden riesige Konzerne von der Regierung gefördert, was zu einer Bildung von Monopolen in vielen Bereichen der Wirtschaft beiträgt. Es wird eine Anarchie2 in der Produktionsplanung erlaubt, die sich losgelöst von den gesamtgesellschaftlichen Bedürfnissen, auf dem Rücken der Bevölkerung zur Klimakrise entwickelt. Die Profite landen in den Taschen Einzelner, die nicht durch reale Arbeit realen Wert erschaffen, und die die Ausbeutung von Umwelt und Menschen organisieren und optimieren. Der Staat richtet seine gesamte Macht in Gestalt der Regierung, des Bundestags, den Gerichten und Behörden auf den Erhalt dieser Eigentumsverhältnisse und beschützt so das kapitalistische Wirtschaftssystem, das immer Ausbeutung, Krise, Armut und Elend hervorbringen wird.

Ob nun die CDU oder die grüne Partei an der Regierung ist: Der Staat bleibt dazu gezwungen, die Interessen von verschiedenen „Kapitalfraktionen“ – von Banken, der Automobilindustrie oder von Kohlekonzernen – zu vertreten. Der bürgerliche Staat ist damit Instrument der Kapitalistenklasse. Denn er ist abhängig von den Steuereinnahmen durch diese und somit darauf angewiesen, dass Kapital nicht ins Ausland abwandert. Außerdem wird auch durch den Staat die imperialistische Vorherrschaft des globalen Nordens über den globalen Süden aufrecht erhalten.

Eine Überführung der Produktionsmittel in einen Staat, der die Interessen verschiedener Kapitalfraktionen vertritt, würde also keine soziale, ökologische und demokratische Organisation der Produktion zulassen. Eine andere Art zu wirtschaften, eine ökologische, der Klimakrise entsprechende Politik und eine soziale Organisation der Herstellung von Gütern und der Gewinnung von Energie erfordert also eine grundlegende Veränderung.

Damit die Eindämmung der Klimakrise überhaupt möglich wird, brauchen wir ein System, in dem für die Bedürfnisse der Menschen und nicht für den Profit produziert wird. Wir müssen also die Mittel der Produktion – die Ölraffinerien, Autokonzerne und Braunkohletagebaue – aber auch Technologien und die Infrastruktur in die Hände der Gesellschaft überführen. Wirtschaftszweige, die privatisiert wurden oder schon immer in privater Hand liegen, müssen enteignet werden. Diese Enteignung wäre aber grundlegend verschieden zu der Enteignung, die Eckardt Heukamp droht. Enteignet der deutsche Staat den Landwirt, tut er das für den finanziellen Gewinn eines einzigen Konzerns. Enteignen Klima- und Arbeiter*innenbewegung die Konzerne, dann als Teil eines Transformationsprozesses für eine soziale, demokratische und ökologische Wirtschaft – also für unser aller Wohl.

Die Marktanarchie in der Produktionsplanung muss ersetzt werden durch eine demokratisch organisierte Wirtschaft, die demokratischen Entscheidungsprozessen untersteht. So sollte auch die Stromversorgung in den Händen der Bevölkerung liegen und bedürfnisorientiert organisiert sein. Dadurch könnten fossile Energieträger im Boden bleiben und Energie würde produziert werden, um die reale Nachfrage zu decken – nicht um als RWE konkurrenzfähig zu bleiben, wie in Lützerath.

Dabei sind uns Kämpfe der ausgebeuteten Menschen wichtig: Es ist Zeit, unsere Kräfte in einem solidarischen antikapitalistischen Kampf für soziale Gerechtigkeit und für Klimagerechtigkeit zu vereinigen. Nach dem Motto Klimakampf ist Klassenkampf müssen wir uns über Ländergrenzen hinweg organisieren und eine Gegenmacht aufbauen. Dafür müssen wir rassistische, sexistische Spaltungen und neokoloniale bzw. imperiale Zustände überwinden. Dafür kämpfen wir als Teil der Klimabewegung, denn nur so können wir der Klimakrise und ihren Verursacher*innen etwas entgegen setzen.

Macht mit!

Wir vom Tübinger offenen antikapitalistischen Klimatreffen (TO AKT) setzen hier vor Ort Aktionen gegen die Klimakrise und für Klimagerechtigkeit um. Die kapitalistische Gesellschaftsordnung ist unmittelbar mit den Ursachen und Folgen  der Klimakrise verknüpft, denn hinter der staatlichen Klimapolitik stehen die Interessen von großen Konzernen und ihren Eigentümer*innen.

Deutschland gehört zu den größten Treibhausgasemittenten, nicht zuletzt durch seine Industrie- und Kolonialgeschichte. Es ist an uns allen, und vor allem uns Lohnabhängigen, diesem ausbeuterischen, imperialistischen System den Kampf anzusagen – und das in internationaler Solidarität.

Unser Treffen ist offen für alle, die sich mit uns zusammen engagieren möchten. Kommt vorbei: Wir treffen uns am 2. und 4. Donnerstag im Monat um 19 Uhr im Klubhaus (Wilhelmstraße 30, Tübingen).


1https://www.diw.de/documents/publikationen/73/diw_01.c.819609.de/diwkompakt_2021-169.pdf

2Hiermit ist nicht die Ideologie Anarchismus, die jegliche Form von Herrschaft überwinden will gemeint. „Marktanarchie“ heißt, dass alle Unternehmen für sich eine Wirtschaftsplanung machen, ohne sich mit der Bevölkerung über die vorherrschenden menschlichen Bedürfnisse abstimmen zu müssen. So gerät der Markt zum Beispiel in eine Überproduktionskrise, in der beispielsweise viel mehr Autos produziert werden als die Menschen sich kaufen wollen und können.

Zum Weiterlesen: Aktionstreffen Klimagerechtigkeit Stuttgart: Das Klima und die Kohle – 1,5 Grad fällt mit Lützerath.