Am 30. Mai 2023 wurde in der vierten Verhandlungsrunde zwischen dem Verband Baden-Württembergischer Omnibusunternehmen e. V. (WBO) und ver.di eine Einigung zur Tarifrunde pOBus 2023 erzielt. Wir als TOAKT (Tübinger offenes antikapitalistisches Klimatreffen) haben die Streiks der Busfahrer*innen in den vergangenen Monaten begleitet, denn guter Lohn und gute Arbeitsbedingungen sind für eine soziale Verkehrswende unabdingbar.
DER TARIFABSCHLUSS
Im Folgenden sind die ursprünglichen Forderungen der Gewerkschaft und der tatsächliche Abschluss gegenübergestellt [1]:
Damit ist der Abschluss besser als der durch eine Schlichtung erzielte und hart umkämpfte im TVöD (Tarifvertrag für den Öffentlichen Dienst), was durchaus als Erfolg zu werten ist. Insgesamt wurden in den diesjährigen Tarifrunden die bei weitem höchsten Lohnsteigerungen der vergangenen Jahrzehnte erkämpft. Trotzdem reicht der Abschluss nicht, um den aktuell anhaltenden Preissteigerungen von Lebensmitteln um durchschnittlich 14.9% [2] gerecht zu werden. Für das Private Omnibusgewerbe Baden-Württemberg und somit auch für die Busfahrer*innen in Tübingen heißt das: Reallohnverlust.
Dass Arbeiter*innenbewegung und Gewerkschaften in Deutschland stärker werden müssen, haben wir auch in dieser Tarifrunde gemerkt. Viele Beschäftigte sind mit den vergangenen Tarifabschlüssen nicht zufrieden und sehen sich von der Gewerkschaft nicht mehr vertreten. Durch die geringen Mitgliederzahlen befinden sich die Gewerkschaften wiederum in einer schwachen Position und können schlechtere Abschlüsse erzielen. Ein Teufelskreis. Es braucht mehr Beschäftigte in den Gewerkschaften. Dafür muss ihre Stellung innerhalb dieser gestärkt werden: Eine beteiligungsorientierte und kämpferische gewerkschaftliche Arbeit ist der richtige Weg, nicht Stellvertretertum und Sozialpartnerschaft. Das hat der Mitgliederzuwachs von rund 100.000 bei ver.di seit Anfang des Jahres [3] infolge der Tarifrunden im TvöD und bei der Post gezeigt.
Es ist Zeit für politisch geführte Tarifrunden: Gerade im Lichte der Teuerungen spüren die Beschäftigten, dass sie selbst mit vergleichsweise guten Tarifabschlüssen nicht über die Runden kommen, während die Chefs sich die nächste Rolex kaufen. Um die Themen Umverteilung und die Schere zwischen Arm und Reich kam man bei Gesprächen mit Beschäftigten nicht herum und auch Klassenbewusstsein – wenn auch nicht unter diesem Namen – war deutlich spürbar. Doch der Weg zu einer klassenkämpferischen Gewerkschaftsbewegung ist noch weit. Wir als Klimatreffen wollen aktiv dazu beitragen und die Beschäftigten auch in kommenden Tarifrunden stärken und unterstützen.
ARBEITSKAMPF BEI TÜBINGER BUSUNTERNEHMEN
Von persönlichen Gesprächen mit Busfahrer*innen wissen wir, dass viele Angst vor Repression haben und deshalb nicht gestreikt haben. Denn auch in Tübingen gibt es Union Busting: Die Tübinger Busunternehmen Schnaith und Kocher/Lutz haben beide keinen Betriebsrat. Das in Rottenburg sitzende Unternehmen Groß stellt bei Bewerbungsgesprächen immer die Frage nach der Gewerkschaftsmitgliedschaft. Sagen Bewerber*innen, dass sie in einer Gewerkschaft sind, wird das Gespräch sofort beendet.
Zudem sind viele Busfahrer*innen, wie sie uns erzählt haben, in einer finanziell so prekären Lage, dass sie sich Streiken und damit einhergehenden Teil-Ausfall ihres Gehalts nicht leisten können. Das ver.di-Mitgliedern gezahlte Streikgeld gleicht nicht den vollen Lohnausfall aus, sondern ca. 75 Prozent. Den Arbeiter*innen wird damit der Weg zum Arbeitskampf versperrt. Wo dennoch Streiks stattfinden, werden diese durch die extrem niedrigen Löhne erschwert und die Arbeitgeber*innen gewinnen.
Dennoch ist und bleibt klar: Ohne Streik und ohne gewerkschaftliche Organisierung wird sich an der Repression der Arbeitgeber*innen und an den prekären Arbeits- und Lohnverhältnissen nichts ändern. Außerdem ist Streik in Deutschland nicht nur ein Grundrecht, sondern auch die Art, wie wir die benötigten Veränderungen erkämpfen können, die für das gute Leben notwendig sind.
KLIMAKAMPF IST KLASSENKAMPF
Verlässlichen ÖPNV, den wir dringend brauchen, gibt es nur mit Menschen, die die Busse und Bahnen fahren. Ohne den richtigen Lohn stehen die Busse still. Die Kosten für gute Löhne müssen die Arbeitgebenden tragen, statt sie auf Beschäftigte oder Verbraucher*innen abzuwälzen.
Wenn wir in Zukunft nicht nur für höhere Löhne (die nächste Tarifauseinandersetzung wird Ende 2024 bzw. Anfang 2025 sein), sondern auch für eine sozial gerechte Verkehrswende kämpfen wollen, müssen wir uns weiter organisieren und das gemeinsame Klassenbewusstsein stärken.
Das Ziel ist der gemeinsame politische Streik: Klimakampf und Arbeitskampf gehören zusammen. Es ist längst überfällig, dass die Klimabewegung und die Arbeiter*innen in den Schlüsselbetrieben gemeinsam kämpfen und zusammen auf die Straße gehen. An die gemeinsamen Erfahrungen der letzten Monate wollen und werden wir anknüpfen.
[1] https://verkehr-bawue.verdi.de/tarifinfos/privates-omnibusgewerbe/++co++6a277d82-df77-11ed-9022-001a4a16012a
[2] https://www.destatis.de/DE/Themen/Wirtschaft/Preise/Verbraucherpreisindex/_inhalt.html
[3] https://www.zeit.de/politik/deutschland/2023-05/verdi-gewerkschaft-ig-metall-tarifeinigung